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Die EinstellungOverlay E-Book Reader

Die Einstellung

Roman | Doron Rabinovici

E-Book (EPUB)
2022 Suhrkamp Verlag
Auflage: 1. Auflage
224 Seiten
ISBN: 978-3-518-77236-2

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Kurztext / Annotation
August Becker ist der Star unter den Pressefotografen, seine Porträts sind unverwechselbar. Im aktuellen Wahlkampf um die Kanzlerschaft erhält er von einer liberalen Wochenzeitschrift den Auftrag, den Spitzenkandidaten einer populistischen Partei zu fotografieren. Ulli Popp hetzt gegen Migranten, gegen Frauen, gegen unabhängige Medien. August Becker soll den Mann hinter der Fassade von Fürsorglichkeit entlarven, seine Brutalität, seinen Zynismus, er soll den unaufhaltsam scheinenden Siegeszug seiner Partei stoppen. August verachtet Popp, er nimmt den Auftrag an, und tatsächlich gelingt ihm ein Schnappschuss, von dem er überzeugt ist, dass er den Ausgang der Wahl entscheidend beeinflussen wird - bis sich von einem Tag auf den anderen alle Gewissheiten ins Gegenteil verkehren.
Mit Witz, Ironie und Fabulierlust erzählt Doron Rabinovici in seinem neuen Roman von einer immer stärker polarisierten Gegenwart, einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft. Es geht um die Relativierung von Fakten, die Anziehungskraft des Autoritären, die Macht der Bilder. Es geht um den Kampf eines Populisten gegen einen Fotografen, der genau weiß, dass jede Aufnahme Zeugnis einer Einstellung ist.

Doron Rabinovici, 1961 in Tel Aviv geboren, in Wien aufgewachsen, ist Schriftsteller und Historiker. Sein Werk umfasst Kurzgeschichten, Romane und wissenschaftliche Beiträge. In Österreich hat er immer wieder prominent Position gegen Rassismus und Antisemitismus bezogen. Für sein Werk wurde er zuletzt mit dem Anton-Wildgans-Preis und dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln ausgezeichnet.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Ohne sein Bild keine Geschichte, nicht ein Satz, nicht ein einziges Wort. Breitbeinig, einen Fuß ein wenig vorgeschoben, stand August da und nahm ihn ins Visier. Das Gesicht im Fadenkreuz des Suchers. Es galt, den richtigen Moment zu erwischen, aber er war nur einer von vielen, die es auf den Mann, der da vor ihnen saß, abgesehen hatten. Um ihn herum das Knattern und Klicken der Apparate.

Das Gesicht des Politikers sprang einem jetzt überall entgegen, von Plakaten, aus Zeitungen und von den Bildschirmen. Es war noch nicht lange her, da hatten sich die meisten über diesen Mann und seine Sprüche mokiert, doch mittlerweile war ihnen das Lachen vergangen. Immer wenn es so aussah, als sei er diesmal mit seinen Gemeinheiten, seiner Niedertracht zu weit gegangen, nahm die Zahl jener zu, die sich von ihm angesprochen fühlten. Je abwegiger seine Behauptungen waren, desto ausführlicher wurde über ihn berichtet, und keinen ließ er kalt.

Kein glatter Schönling saß da vorne, auch kein Blässling, sondern ein stattlicher Mann, hochgewachsen und stämmig, ein - wie seine Jünger gerne sagten - ganzer Kerl mit gesundem Teint, als käme er gerade von einer Bergtour oder aus dem Sonnenstudio, ein Kumpeltyp mit kantigem Gesicht und einem breiten Lächeln, das immerzu verwegen und ein wenig spöttisch wirkte. Ulli Popp war dafür bekannt, auf einer Kundgebung volksnah, bei einem Galadinner charmant und vor Firmenvorständen weltgewandt aufzutreten. Welcher Art sein Publikum auch war, immer hinterließ er den Eindruck, mit sich im Reinen zu sein, und es war nicht nur seine Lebendigkeit, seine Energie, die alle um ihn herum ansteckte, sondern wie selbstgewiss er erschien. Sogar hier, in diesem sterilen Hinterzimmer eines Gasthauses, in dem Popp eine Pressekonferenz abhielt, zog er selbst jene, die ihn ablehnten, in seinen Bann, das war für August nicht zu übersehen.

Der Raum war gesteckt voll, alle gierten danach, jede seiner Aussagen festzuhalten. In der ersten Reihe ein jüngerer Kollege, der die Kamera kurz senkte und August zunickte. Schräg hinter ihm Marion Ettl, eine Journalistin, die nicht nur durch ihre scharfen Fragen aufzufallen wusste. Sie hatte sich auf ein Fensterbrett hochgeschwungen; die Beine übereinandergeschlagen, den Rücken durchgestreckt saß sie da, und August spähte aus dem Augenwinkel zu ihr hinüber.

Popp sagte, er spreche aus, was das einfache Volk denke, weil die Elite verschweige, was das ganze Land bedrohe, denn da rolle ein Tsunami heran, der alles mitreißen werde, und wer davon nichts hören wolle und die Menschen in Sicherheit wiege, verrate die Interessen aller, der gesamten Nation, und dann nahm er ein Wort in den Mund, das die meisten hier aufhorchen ließ. »Lügenpresse«, sagte er, und Popp schmunzelte dabei ein wenig, als meinte er die Beschimpfung der Anwesenden gar nicht ernst, als wäre dieses Wort nur ein Kosename, eine ironische Tändelei -, und genau in diesem Augenblick drückte August auf den Auslöser und schoss eine ganze Serie von Fotos. Danach hielt er kurz inne, um sich im Display die Aufnahmen anzuschauen. Der übliche Kontrollblick, reine Routine, um mögliche Fehleinstellungen zu korrigieren, aber nun, als er die einzelnen Aufnahmen überprüfte, geschah etwas, das ihm noch nie passiert war. August war von seinen eigenen Bildern abgestoßen. Das war nicht, worauf er aus war. Und plötzlich wollte er nur noch weg.

Er schlängelte sich durch die dichten Reihen der anderen aus den verschiedenen Redaktionen, drängelte vorbei an einer Kollegin mit Fotoapparat, dann wich er den Beinen von Marion Ettl aus, die ihn so verwundert anschaute, dass er prompt über das Mikrofonkabel eines Radioredakteurs stolperte. Am anderen Ende des Raums bemerkte auch Popp die Unruhe und blickte in seine Richtung, aber da war August schon draußen auf der Straße und wusste im nächsten Moment selbst nicht mehr, was in ihn gefahren war. Aber er wollte nich